DroLeg Übersicht Für eine vernünftige Drogenpolitik

Medizinalisierung der Drogen aus Sicht eines Mediziners
von Reto Tscholl

Die heute illegalen Drogen sollten nach ihrem Verwendungszweck als Medikamente oder Genussmittel unterschieden werden. Dann stellt sich allerdings die Frage, ob eine Verschreibung von Genussmitteln durch AerztInnen sinnvoll ist.

Ärzte und Ärztinnen haben unter den Bedingungen der Drogenprohibition einige offensichtliche Funktionen, die von der Reanimierung der Opfer von Betäubungsmittelüberdosen über die Behandlung von Spritzenabszessen bis zur langfristigen Betreuung von Hepatitis- und HIV-Infizierten reichen. Analoge Aufgaben übernahmen sie auch im Rahmen der «Versuche für eine ärztliche Verschreibung von Betäubungsmitteln» an «schwerst Süchtige». Diese VersuchsteilnehmerInnen waren - wie es unter dem Drogenverbot unvermeidlich ist - meist auch körperlich geschädigt: durch verunreinigte Substanzen in unbekannter Dosis, durch mehrfachen gemeinsamen Spritzengebrauch u.a.

Änderung der Aufgaben beim legalen Verkauf

Es ist aber falsch, hieraus abzuleiten, AerztInnen hätten auch beim legalen Verkauf von Drogen zu Genusszwecken nach Abschaffung der Prohibition noch eine spezifisch medizinische Aufgabe zu erfüllen, die nur von Medizinern wahrgenommen werden könnte. Bei anderen, körperlich sogar schädlicheren Genussmitteln mit Suchtpotential, wie beispielsweise beim Tabak, würde niemand daran denken, die Ärzteschaft in den Tabakverkauf zu verwickeln, wogegen es sehr wohl eine unbestrittene medizinische Aufgabe ist, die Folgeschäden des Tabakgenusses (Gefässschäden und Lungen-, Mund- und Blasenkarzinome) zu behandeln und durch Information Prävention zu betreiben.

Genussmittel oder Medikament?

Bei den derzeit noch illegalen Drogen rührt die Verwirrung daher, dass gewisse dieser Substanzen sowohl als Medikament als auch als Genussmittel verwendet werden können. Das ist bei den jetzt legalen Drogen im Fall des Alkohols noch ähnlich, weil gerade dem Rotwein in begrenzten Dosen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugestanden wird. Beim Tabak hingegen fällt jede medikamentöse Verwertung weg.
Die doppelte Verwendungsmöglichkeit gewisser derzeit illegaler Drogen verlangt eine klar differenzierte Regelung je nach Verwendungsart. Deshalb schliesst die «Initiative für eine vernünftige Drogenpolitik» für die Verwendung von Betäubungsmittel zu Genusszwecken eine erzwungene Medizinalisierung im Sinne der Rezeptpflicht aus.

Verwendung bei medizinischer Indikation

Eine solche ist durchaus denkbar. So ist Heroin ein hochwirksames Schmerzmittel mit gleichem Suchtpotential wie das legale Morphium aber eher geringeren Nebenwirkungen.
Cannabis wirkt vermutlich gut gegen Muskelverspannungen bei spastisch Gelähmten [1]. Seine Wirkungen auf den Augeninnendruck, die glatte Bronchialmuskulatur und den Brechreflex sind möglicherweise von therapeutischem Wert [2]. Halluzinogene werden in gewissen Psychotherapien angewendet.
Wie bei allen anderen Medikamenten mit grosser Wirkung aber erheblicher Nebenwirkung muss die Indikation aufgrund medizinischer Kenntnisse im Sinn einer Güterabwägung von Wirkung gegen Nebenwirkung gestellt werden. Bei medizinischer Indikation ist die Rezeptpflicht angebracht. Als Medikamente eingesetzte Substanzen, Betäubungsmittel eingeschlossen, müssen bei ärztlicher Rezeptierung von den Versicherungen bezahlt werden.

Verwendung aus nicht medizinischen Gründen

Wenn Betäubungsmittel zu Genusszwecken nur gegen ein Rezept erhältlich sein sollen (Rezeptpflicht), so müsste geregelt sein, wem ein Rezept ausgestellt werden darf und wem nicht. Erhalten alle, die es wünschen, ein Rezept, so wird die Rezeptpflicht zur Farce. Erhalten nur wenige ein Rezept, so werden alle, denen ein Rezept verweigert wird, zu Kunden des Schwarzmarktes, der auf diese Weise staatlich gefördert würde. Erhalten nur «schwerst Süchtige», die kaum zu definieren sind, ein Rezept, so müssten Probierer, die man mit einer Rezeptpflicht ohnehin nicht vom Probieren abhalten kann, von Gesetzes wegen erst süchtig werden, um ein Rezept zu erhalten, womit wiederum der Schwarzmarkt gefördert würde.
Dieser Schwarzmarkt verursacht die riesigen Kosten der erfolglosen Repression, den Schaden Dritter durch die Beschaffungskriminalität und das Elend wie die Krankheiten der Drogenabhängigen. So würde die Rezeptpflicht paradoxerweise darauf hinauslaufen, dass die Ärzteschaft von Gesetzes wegen Krankheiten und Leiden vermehren müsste.
Auch eine allfällige Gefährdung Dritter kann nicht zugunsten einer Rezeptpflicht angeführt werden. Es gibt keinen passiven Heroinkonsum im Gegensatz zum Passivrauchen. Dennoch stehen Tabakwaren nicht unter Rezeptpflicht.

Rezeptpflicht verhindert den Konsum nicht

Der Drogenkonsum zu Genusszwecken soll von den KonsumentInnen finanziert werden. Bei Rezeptpflicht würde sich die Frage stellen, wer die Kosten zu tragen hätte. jedenfalls wäre es absurd, aufgrund eines Rezeptes die Krankenkassen für Genussmittel zahlen zu lassen. Besteht für den Kauf von Drogen auch zu Genusszwecken ein gesetzlicher Zwang zum Rezept, so degeneriert dieses zu einer blossen Drogenerwerbsbewilligung, die nichts mehr mit einer ärztlichen Funktion zu tun hat.
Die Forderung, den Erwerb von Drogen der Rezeptpflicht zu unterstellen, beruht auf der irrigen Vorstellung, dadurch viele Menschen vom Konsum abhalten zu können. Die Ärzteschaft kann mit dem Rezeptblock nicht erreichen, was die Polizei mit aller Repression nicht schafft. Selbst wenn die Mehrheit der AerztInnen Rezepte zurückhaltend ausstellte, würden einzelne Arztpraxen zu Ausgabestellen von Drogenrezepten. Das wäre den betreffenden AerztInnen nicht einmal zu verdenken, denn sie sind geschult, Rezepte für Medikamente nach ihren medizinischen Kenntnissen auszustellen, wogegen sie sich bei Rezepten für Genussmittel nach den Wünschen der KonsumentInnen zu richten hätten.

Schlussfolgerung

Zur Deckung nicht medizinischer Konsumbedürfnisse ist die Zwangsmedizinalisierung zu teuer, präventiv sinnlos und unfähig, den Drogenschwarzmarkt mit all seinen katastrophalen Folgen zu beseitigen.

  1. NZZ 27.2.97, 48: 20
  2. Hollister L.E., Health aspects of Cannabis, Pharmacol Rev 1986, 38, 2-20 zit Rang, Pharmacology


Prof. Dr med. R. Tscholl, Erlinsbach

Rauf

Index DroLeg-Seiten Index Drogenpolitik virus Home

Dieser Artikel erschien im «SuchtMagazin» 5/98, Ramsteinerstr. 20, 4052 Basel, 061 - 312 49 00
www.infoset.ch/pub-www/suchtmagazin
Copyright © 1998 R.T. / DroLeg
[ Letzte Aktualisierung 26.10.98 / hf ]