virus-Homepage Der Kleinbasler Drogen-Stammtisch Themen

[ Home ] [ Gesamtindex ] [ Stichwortindex ] [ Index Drogenpolitik ]

Reden, zusammen agieren, sich einmischen, die Betroffenheit ausdrücken ... das ist allemal besser, als die Faust im Sack zu machen. Das sagten sich 1990 von der Drogenproblematik Betroffene jeglicher Couleur (AnwohnerInnen, Gewerbetreibende, in der Suchthilfe Beschäftigte, Konsumierende) und setzten sich zusammen, um gemeinsam zu besprechen, wo der Schuh drückt und was dagegen zu tun sei.
Aus diesem Konsens entstand der sogenannte "Kleinbasler Drogenstammtisch", welcher bald einmal weit herum als Beispiel für einen kreativen Umgang mit Problemen bekannt wurde.
Die untenstehende Chronik wurde von der Ethnologin Marie-Louise Nabholz-Kartaschoff für die Jubiläumsbroschüre "5 Jahre Drogenstammtisch" verfasst.


Vom "Kleinbasler Drogenstammtisch" zum "Drogenstammtisch Basel"
Chronik 1990 - 1995

Die Ausgangsituation - Probleme im Oberen Kleinbasel

Mitte 1989 wird am Lindenberg das "Fixerstübli", der erste auf private Initiative entstandene Fixerraum, eröffnet [am 1.5.89, hf] und im Herbst nimmt die Gassenküche ihren Betrieb auf. Diese Konzentration und der allabendliche grosse Ansturm auf diese beiden Institutionen führen schon bald zu Unmut und kontroversen Diskussionen unter den AnwohnerInnen und Gewerbetreibenden im Geviert Rheingasse, Utengasse, Lindenberg. Gleichzeitig intensivieren sich die Probleme am Oberen Rheinweg, wo sich die verschiedensten Szenengruppierungen tagtäglich bis in die Nacht hinein aufhalten. Angst vor herumliegenden Spritzen, vor Drogenhandel und Beschaffungskriminalität, Ärger über Menschenansammlungen, Lärm und herumliegenden Unrat machen sich breit.

1.9.1990

Die Situation eskaliert vollends, als zur AlDS-Prophylaxe und zur Entlastung des mittlerweile von 200-300 BenutzerInnen pro Abend aufgesuchten Fixerstüblis ein vom Gesundheitsamt organisierter ambulanter Spritzenaustausch-Bus von militanten BürgerInnen in einer unbewilligten Demo am Betrieb gehindert wird und es sogar zu Tätlichkeiten gegen dessen Personal kommt.

24.9.1990

Die Stimmung im Kleinbasel ist aggressiv und polemisch - man steht vor einem Scherbenhaufen. Auf Initiative der Gassenarbeit und der Kulturwerkstatt setzen sich rund 200 direkt Beteiligten im Rossstall der Kulturwerkstatt Kaserne gemeinsam und unter Ausschluss der Öffentlichkeit an einen Tisch: AnwohnerInnen und Geschäftsleute, Drogenabhängige, BetreiberInnen des Fixerstüblis, Sozialtätige, Kulturschaffende. Dazu ein Zitat aus der Einladung der Kulturwerkstatt: "Eine Verständigung zwischen den direkt Beteiligten wäre ein Versuch, die Eskalation zu stoppen."

1.10. 1990

Die kontroversen Anliegen werden an einem öffentlichen Podiumsgespräch diskutiert. Rund 300 Betroffene aller Seiten folgen der Einladung der Kulturwerkstatt mit dem Text: " Probleme mit DrogenkonsumentInnen im Kleinbasel - wie gehen wir damit um? Einig sind sich alle: So geht es nicht weiter. Wie unterschiedlich die Meinungen darüber sind, wie es weitergehen soll, hat das Aufstellen des Spritzenbusses gezeigt." Unter der geschickten Gesprächsleitung der Ärztin Silva Keberle kommen alle Seiten zu Wort und spüren sich ernst genommen. Ängste, Sorgen, Ärger, konkrete Probleme, Vorschläge, Utopien sind in ihrem Stichwortprotokoll aufgezeichnet - und die Idee "Stammtisch". "Die Diskussion, die nun endlich in Gang gekommen ist, muss aufrecht erhalten werden, sonst verläuft wieder alles im Sand", ist die vorherrschende Meinung.

15.10.1990

Nur zwei Wochen später findet der erste Stammtisch Kleinbasel" im Restaurant Torstübli statt. Nicht seine Institutionalisierung steht in der über dreistündigen Aussprache im Vordergrund, sondern wiederum eine Vielzahl von konkreten Problemen und Ideen sowie die Teilnahme an einer von der Regierung im Café Spitz einberufenen Anwohnerversammlung vom 19.10. Dort soll eine Dreierdelegation konkrete Anliegen und Vorschläge aus dem "Stammtisch" einbringen, u.a.:

  • rasche Einrichtung mehrerer Gassenzimmer, in denen gefixt werden darf
  • einheitliches Vorgehen der Regierung (gemeinsame Strategie der Departemente)
  • optimale Information aller, die an der Entscheidungsfindung beteiligt sind
  • intensive Rücksprache mit allen Betroffenen (AnwohnerInnen, Geschäftsleute, SozialarbeiterInnen und Junkies).
Angestrebt wird auch eine Verbesserung der Kommunikation mit den Behörden, damit sich "rasch realisierbare und akzeptable Lösungen finden lassen, die den Bewohnern des Kleinbasels (und auch den Junkies) die aktuelle Last von den Schultern nehmen."
Von da an treffen sich 60-80 Personen aus allen "Lagern" regelmässig alle Monate im Fasnachtskeller des Volkshauses zum "Kleinbasler Drogenstammtisch", der sich als breit zusammengesetzte Interessengemeinschaft der von Drogenproblemen betroffenen Kleinbasler Kreise versteht. Mit dabei sind öfters auch Vertreter der Departemente Polizei, Sanität und Justiz, unter ihnen auch einzelne Regierungsmitglieder. In den Diskussionen und " Kropfleereten" prallen die Meinungen und Anliegen zeitweise hart aufeinander, und immer wieder droht der Stammtisch auseinanderzubrechen. Schon bald kristallisieren sich drei Hauptanliegen heraus:
  • Die Dezentralisierung der Drogenszene zur Entlastung des Kleinbasels
  • Die Forderung nach einer konkreten Verbesserung der unhaltbaren Gassensituation vor dem Fixerstübli am Lindenberg
  • Anerkennung des Stammtischs als Gesprächspartner durch die Regierung

Das Aktions-Komitee des Kleinbasler Drogenstammtischs

21.1.1991

Man ist sich bewusst: Es braucht andauernden Kontakt, Information und Handeln. Aktionen sollen ausgelöst werden, es muss etwas geschehen. Eine paritätisch von AnwohnerInnen, Geschäftsleuten, Grossräten und der Szene nahestehenden Personen zusammengesetzte Gruppe von 8 Personen unter Leitung von Frau Dr. Silva Keberle wird gewählt - das Aktions-Komitee. Sie formuliert in einem Arbeitspapier die Zielsetzungen des Drogenstammtischs:

  1. Er will zum sozialen Frieden im Zusammenhang mit den Drogenproblemen in Basel aktiv beitragen.
  2. Er will auf direktem und unbürokratischem Weg eine Entlastung und Dezentralisierung der Kleinbasler Drogenszene bewirken.
  3. Er betrachtet das Drogenproblem im Kleinbasel als Notstand und ist bereit, auch unkonventionelle Lösungen zu finden und allenfalls auch selbst anzugehen.
  4. Er bemüht sich um Informationen nach innen und aussen, im engeren Quartier wie auch im weiteren Kleinbasel und im Grossbasel.
  5. Er sucht den Kontakt zu anderen Organisationen, Vereinen, zu den Schulen, Kirchgemeinden und sozialen Institutionen, vor allem im Kleinbasel.
  6. Er hält den regelmässigen Kontakt zu Behörden und Politikern aufrecht.
  7. Der Kleinbasler Drogen-Stammtisch ist auch Gefäss für Probleme, Reklamationen und Kropfleerete für alle Betroffenen.

25.2.1991

Trotz grosser Bedenken des anwesenden Justizdirektors Dr. Peter Facklam beauftragt der Drogenstammtisch das Aktions-Komitee einstimmig, mit einer Selbsthilfeaktion ein konkretes Zeichen zu setzen und mit der Dezentralisierung der Drogenszene Ernst zu machen. Als erster Schritt zur Entlastung der unhaltbaren Situation im Kleinbasel soll eine provisorische Möglichkeit zum Fixen unter Betreuung im Grossbasel geschaffen werden. Mit grosszügiger Unterstützung von Kleinbasler Gewerbetreibenden wird ein Baucontainer gekauft und als Fixerraum eingerichtet. Als Standort wird nach sorgfältiger Evaluation der Platz zwischen Kunsthalle und Elisabethenkirche im Grossbasel gewählt. 43 meist jüngere freiwillige HelferInnen sind bereit, den Fixer-Container mit acht Plätzen allabend- lich zu betreiben, die BenutzerInnen zu betreuen, sowie AnwohnerInnen und anderen Interessierten für Gespräche zur Verfügung zu stehen. Träger ist der Kleinbasler Drogenstammtisch.

30.4.1991

Der Container wird aufgebaut und im Foyer des Stadttheaters (statt der Kunsthalle) der Presse vorgestellt. Um lange Verzögerungen oder gar Ablehnung durch die Behörden zu vermeiden, war auf Einholen einer Allmendbewilligung verzichtet worden. Die Regierung reagiert prompt: der Container wird per Verfügung vom Baudepartement zweifach eingezäunt und damit die Inbetriebnahme verhindert.

3.6.1991

Der Fixerraum im Container wird nachträglich bewilligt und darf seinen Betrieb - befristet auf zwei Monate - aufnehmen. Bald steigert sich die Besucherzahl auf 20-30 Personen pro Abend.

14.6. 1991

Der Container fällt einem nächtlichen Brandanschlag zum Opfer, wird aber innert nur einer Woche neu aufgebaut und eingerichtet.

7.8.1991

Trotz einem Gesuch des Kleinbasler Drogenstammtischs um Verlängerung und breitem öffentlichem Protest gegen die Schliessung, vor allem auch aus Ärztekreisen und sämtlichen Institutionen aus dem Drogenbereich, muss der Betrieb des Fixer-Containers eingestellt werden.

Die Anwohnerversammlung

Für viele Anwohner im Bereich Rheingasse, Lindenberg, Utengasse, Greifengasse und Umgebung bleibt die Situation, vor allem rund um das Fixerstübli, unerträglich. Vom "Drogenstammtisch" sind sie enttäuscht, weil er konkret noch nichts bewirkt hat. Sie fühlen sich nicht vertreten und fordern kategorisch, dass "sofort etwas geschieht". Resigniert bleiben viele still und leise weg oder treten aus. Von allen Seiten regnet es Stellungnahmen, Petitionen, Interpellationen an PolitikerInnen und Behörden.

14.5.1991

Die Regierung tut sich schwer, in der Drogenpolitik einen einheitlichen Weg zu beschreiten. Sie formuliert jedoch die ersten "Drogenpolitische Leitsätze", die aber vorläufig noch ohne sichtbare Folgen bleiben. Die geplante Inbetriebnahme eines ersten staatlichen Gassenzimmers verzögert sich wegen der schwierigen Standortsuche und durch Beschwerden.

17.5.1991

Etwa 100 von der "Anwohnerversammlung" aufgerufene Personen legen in einer Audienz Regierungspräsident Karl Schnyder Tausende von der "Vogel Gryff"-Zeitung und der IGK gesammelte Unterschriften "Wir haben die Nase voll" sowie ihre Wünsche, Anregungen und Forderungen vor. Dieser verspricht, die Regierung werde handeln.

25.5.1991

Geschäftsleute aus der Rheingasse und näheren Umgebung wiederholen ihre Kritik und Forderungen nach repressiven Massnahmen gegen Dealer und "Drögeler" in einem harschen Brief an Regierungsrat Peter Facklam.

17.6.1991

Eröffnung des ersten staatlichen Gassenzimmers an der Spitalstrasse 26. Fixerstübli am Lindenberg und der Fixer-Container sind noch in Betrieb.

Aug./Sept. 1991

Die Regierung diskutiert die Inbetriebnahme eines zweiten Gassenzimmers, lehnt jedoch eine mögliche Sanierung des Fixerstüblis am Lindenberg ab, sondern droht mit seiner Schliessung und streicht dessen Subvention.
[Korrektur hf: Das Fixerstübli bezog nie Subventionen, sondern erhielt "ausserordentliche Beiträge" aus dem Alkoholzehntel. Diese waren bisher ratenweise ausbezahlt und nun gestoppt worden]

22.8.1991

Der Kleinbasler Drogenstammtisch bietet seinen Fixer-Container als Provisorium an und versucht erfolglos, mit den BetreiberInnen des Fixerstüblis Verbesserungen für die Anwohnersituation herbeizuführen.

Okt. 1991

Anwohner und Kunstmuseum erheben massiven Protest gegen das geplante zweite Gassenzimmer beim Kunstmuseum.
Der Drogenstammtisch existiert weiter, obwohl alles immer wieder auseinanderzubrechen droht. Im ersten Halbjahr 1991 haben acht Treffen stattgefunden. Er kämpft weiter für mehrere dezentrale Orte, einer davon im Kleinbasel, wo Drogen straffrei unter hygienischen Bedingungen konsumiert werden können. Nur so kann das Kleinbasel von der Konzentration der Drogenszene entlastet und eine offene Drogenszene vermieden werden.
Vorherrschend ist die Meinung, dass das Fixerstübli am Lindenberg erst geschlossen werden kann, wenn gleichzeitig ein geeigneter Ersatz im Kleinbasel besteht. Eine Renovation könnte andererseits die unzumutbaren Zustände für die Anwohner kurzfristig verbessern.

16.10.1991

Ausstellung des Drogenstammtischs mit den ehemaligen BetreiberInnen des Fixer-Containers "Ein Überlebenshilfe-Projekt stellt sich vor" (Claraplatz, Schifflände, Tellplatz). Einige Anwohner und Geschäftsleute reagieren sehr kontrovers und verteilen Flugblätter gegen den Drogenstammtisch.

Nov. 1991

Der Drogenstammtisch lanciert die Petition "Gemeinsam gegen eine offene Drogenszene / Gemeinsam für dezentrale Fixerräume". Darin heisst es: "Wir wollen keine offene Drogenszene a la Platzspitz. Zwei Gassenzimmer in Grossbasel sind nicht genug. Wir fordern mehrere dezentrale Fixerräume im Gross- und Kleinbasel". Gleichzeitig sucht er selber nach einem neuen Standort für ein 3. Gassenzimmer im Kleinbasel.

13.12.1991

Frustriert vom langsamen Tempo der Regierung und vom Kampf des Drogenstammtischs für Einrichtung mehrerer dezentraler Fixerräume, bevor das Fixerstübli geschlossen wird, distanzieren sich AnwohnerInnen und Geschäftsleute in einem Inserat: "Der 'Kleinbasler Stammtisch' ist nicht (mehr) unser Stammtisch". Sie fordern die Schliessung des Fixerstüblis Ende Dezember, Repression gegen die offene Drogenszene, aber auch - wie der Drogenstammtisch - dezentrale Gassenzimmer.

16.12.1991

Medienorientierung und Einreichung der von Ärzten, Juristen, Kulturschaffenden, AnwohnerInnen, Geschäftsleuten und von verschiedenen Institutionen aus dem Bereich Überlebenshilfe mitgetragenen Petition des Drogenstammtischs mit schlussendlich über 4500 Unterschriften.

3.2.1992

Eröffnung des provisorischen staatlichen Gassenzimmers II beim Kunstmuseum. Die Öffnung muss wegen einer von einem Anwohner erwirkten superprovisorischen Verfügung des Bundesgerichts jeweils auf erst 19.00 Uhr hinausgeschoben werden. Der Streit um die verschiedenen Öffnungszeiten der beiden Gassenzimmer wird noch monatelang vor Gerichten ausgefochten werden. Der Standort beim Kunstmuseum wird auf längstens ein Jahr befristet; das Justizdepartement verspricht einen weiteren Standort im Kleinbasel zu suchen.
Gleichzeitig versperrt die Polizei DrogenkonsumentInnen den Zugang zum Fixerstübli am Lindenberg. Die BetreiberInnen bleiben am Ort, bis eine Alternative im Kleinbasel gefunden sei, und arbeiten einen neuen Trägerverein und ein neues Betriebskonzept für einen anderen Standort aus.
[Ergänzung hf: ... bis zum 30.9.92,- solange dauerte die vor der Mieterschlichtungsstelle ausgehandelte Mieterstreckung]

4.2.1992

Um die Situation rund um das Fixerstübli - allabendliche Blockade durch Polizei und Anwesenheit entrüsteter AnwohnerInnen - zu entschärfen und die katastrophale Überlastung der beiden staatlichen Gassenzimmer zu vermeiden, bietet der Drogenstammtisch in einem offenen Brief an die Regierung nochmals eine provisorische Wiederinbetriebnahme ihres Container-Fixerraums an. Antwort von Regierungsrat Dr. Peter Facklam: "'Drogen-Container' oder blosse Injektionsräume, welche ohne ein profundes Betreuungskonzept und mit einer vorgelagerten offenen Szene betrieben werden, werden nicht toleriert." (Brief vom 14.2)
[Anmerkung hf: unmittelbar nach Beendigung des Fixerstübli-Betriebes hatten die Gassenzimmer ihre "vorgelagerte offene Szene", ein Zustand, der sich bis heute v.a. an den Standorten Spitalstrasse und Heuwaage gehalten hat und die vom Fixerstübli her bekannten Ausmasse mittlerweile deutlich übersteigt]

März 1992

Die Petition des Drogenstammtischs wird von der Petitionskommission positiv aufgenommen und vom Grossen Rat an die Regierung überwiesen.

15.5.1992

Jörg Schild tritt als Vorsteher des Justiz-Departements die Nachfolge von Regierungsrat Peter Facklam an.

25.6.1992

Der Grosse Rat bewilligt den Kredit für die Schaffung eines dritten Gassenzimmers und die Verlegung des Gassenzimmers beim Kunstmuseum.

15.9.1992

Eröffnung Gassenzimmer III an der Heuwaage.

21.10.1992

Der Bundesrat bewilligt Versuche zur kontrollierten Heroinabgabe.

21.9. und 26.10.1992

Zwei Drogenstammtische zum Thema "Kinder, Jugendliche und Drogen. Im Zentrum der Diskussion, an der auch viele Schulvorsteher, LehrerInnen und Eltern teilnehmen, steht das rasant zunehmende Folienrauchen von Heroin und dringend not- wendige Aufklärung und Sucht-Prophylaxe, auch an den Schulen. Die Drogenwelle breitet sich aus, immer mehr und immer jüngere Jugendliche werden hineingerissen.

13.10.1992 / 20.10.1992

Schreiben der Regierung an den Drogenstammtisch und Regierungsratsbeschluss zur Petition des Drogenstammtischs: Der Regierungsrat anerkennt die Anliegen der Petitionäre, dankt für das konstruktive Engagement und setzt auf den Betrieb von drei staatlich geführten Gassenzimmern.

Nov. 1992

Das Aktionskomitee nimmt auf Grund von Diskussionen am Drogenstammtisch klar und differenziert Stellung zur Frage der kontrollierten Heroinabgabe im befürwortenden Sinn. (s. Bulletin Nr. 2/1992). Dabei ist er sich bewusst, dass das wissenschaftlich begleitete Pilotprojekt nur ein Anfang sein kann für eine breit angelegte, flexible kontrollierte legale Abgabe für alle, die es wünschen und nötig haben.

9.1.1993 / 2.2.1993

Schliessung des provisorischen Gassenzimmers II beim Kunstmuseum und Eröffnung des Ersatz-Gassenzimmers II an der Erlenstrasse.

22.2.1993

Drogenstammtisch mit Justizdirektor Jörg Schild und Sanitätsdirektorin Veronica Schaller. Hauptthemen: rasante Zunahme des Folienrauchens, Suchtprophylaxe, herumliegende Spritzen, Gassenzimmer Erlenstrasse.

29.3.1993

Drogenstammtisch über die aktuelle Drogensituation April 1993

10.5.1993

In den Medien wird das Thema Spritzenabgabe und Fixerraum aufgenommen. Heftige Diskussion am Drogenstammtisch über "Aids und Drogen im Gefängnis" mit den Vertretern der Gefängnisleitung Kurt Freiermuth und Jörg Oberli .

5.6.1993

Der Plan, den Fussgängerdurchgang durch das Ueli-Gässli zwischen Rheingasse und Oberem Rheinweg zwecks besserer Bekämpfung der Drogenszene zu schliessen, entfacht kontroverse Diskussionen unter den Anwohnern .

Sept. 1993

Basel-Stadt verhandelt über die eventuelle Übernahme des Gassenzimmers III durch den Kanton Baselland, da rund ein Drittel der BenutzerInnen von dort stammen. Der Drogenstammtisch setzt sich bei der Regierung für den Verbleib der Trägerschaft bei der AAJ ein, damit der Betrieb aller drei Gassenzimmer im Sinne von Kontinuität einheitlich und koordiniert geführt wird - ohne Erfolg.

18.10.1993

Drogenstammtisch über die beiden neuen drogenpolitischen Volksinitiativen. Es findet eine engagierte und emotionale Diskussion statt mit Dr. Ernst Aeschbach, Zürich für die Volksinitiative für eine "Jugend ohne Drogen" und Renato Maurer, Biel für die Volksinitiative "Für eine vernünftige Drogenpolitik - Tabula Rasa mit der Drogen-Mafia" (DroLeg). Die kontroversen Meinungen prallen heftig aufeinander; eine überwältigende Mehrheit der Anwesenden sieht in "Jugend ohne Drogen" keinen realistischen Lösungsansatz.

29.11.1993

Am Drogenstammtisch wird vor allem über das geplante Heroinabgabe-Projekt informiert und diskutiert.

1.1.1994

Der Kanton BL übernimmt das Gassenzimmer III an der Heuwaage in eigener Regie und setzt als Trägerin die Firma Eskamed ein.

19.1.1994

Mit 80 zu 9 Stimmen heisst der Grosse Rat das Pilotprojekt für die diversifizierte Verschreibung von Suchtmitteln, darunter Heroin, gut. Der christliche Verein "Offene Tür" ergreift das Referendum, unterstützt von Exponenten aus den Parteien AP, SD, SVP, EDU und DSP.

5.4.-14.5.1994

Der Regierungsrat beschliesst als Versuch zur Entlastung des Gevierts Rheingasse das Ueligässli für sechs Wochen zu schliessen. Die polizeilichen Kontrollen werden massiv intensiviert. Einmal mehr reagieren die AnwohnerInnen äusserst unterschiedlich: viele begrüssen die Schliessung, die Polizeipräsenz und -kontrollen von frühmorgens bis spätabends und die lückenlose Wegweisung von "Drögelern" und Gassenleuten; einige erachten diese Massnahmen als untauglich zur Problemlösung und befürchten nur eine Verschiebung der Drogenszene rheinauf- oder abwärts. Die negativen Auswirkungen - Hektik, Aggression, Dealversuche auf Seite der BenutzerInnen, Stress und Überlastung bei den MitarbeiterInnen - bekommen Institutionen zur Überlebenshilfe wie Gassenzimmer, Tageshaus für Obdachlose Wallstrasse und Gassenküche zu spüren. Sinnvolle Betreuungsarbeit ist kaum mehr zu leisten.
Nach Ablauf des Provisoriums wird auf eine Schliessung des Ueligässli verzichtet. Polizei und Zivilbeamte bleiben weiterhin präsent. Die Szene wird an der Rückkehr gehindert und hält sich in der Folge in zersplitterten Gruppen und in ständiger Bewegung an wechselnden Standorten auf.

25.4.1994

Drogenstammtisch über ärztliche Opiatverschreibung mit Regierungsrätin Veronica Schaller und Regierungsrat Jörg Schild.

30.5.1994

Drogenstammtisch über die Rolle der Staatsanwaltschaft in der Basler Drogenpolitik mit Dr. Beat Voser, Staatsanwalt, Chef Betäubungsmitteldezernat und dem Ombudsmann des Kantons Basel-Stadt, lic.iur. Andreas Nabholz.

10.-12.6.1994

Mit 65.6% Ja stimmen die BaslerInnen der diversifizierten Opiatverschreibung zu.

22.8.1994

Drogenstammtisch "Folienrauchen - Viel Rauch um nichts". Als Gast tritt der Basler Rapper Black Tiger auf. Fazit des Abends: Prävention muss nicht nur Süchte verhindern, sondern deren Ursachen in der Gesellschaft hinterfragen und bessere Bedingungen, ein besseres Gesprächsklima zwischen Alt und Jung aufbauen, Vertrauen schaffen und Ängste abbauen.

26.9. 1994

Der Drogenstammtisch "Arbeitslos dank Drogenrepression. Alki in - Junkie out?" befasst sich mit den beruflichen Schwierigkeiten von Menschen mit Drogenproblemen, insbesondere von Lehrlingen. Lehrmeister sind ebenso hilflos in solchen Situationen wie die betroffenen jungen Menschen. Die Idee der Schaffung einer Fachstelle zu ihrer Begleitung und Beratung soll weiterverfolgt werden.

1.11.94

Beginn des Basler Projekts Opiatverschreibung "Janus" für maximal 150 TeilnehmerInnen, die Methadon, Morphin oder Heroin erhalten. Als begleitende Massnahmen werden Arbeits- und Wohnprogramme erarbeitet.

14.11.1994

Drogenstammtisch "Internationale Verträge oder die Trojanischen Pferde der Drogenpolitik". Über die komplizierte juristische Materie auf Bundesebene und deren Folgen für die kantonale Drogenpolitik referieren Prof. Mark Pieth, Professor für Strafrecht, Drogendelegierter Thomas Kessler, Dr. Luc Saner, Grossrat und Heinz Forster, Präsident des Vereins VIRUS.

Ende Dez.1994

Für die bereits am Drogenstammtisch vom April 1993 diskutierte Heroinverschreibung für schwerstabhängige Strafgefangene scheint sich eine Lösung abzuzeichnen.

14.2.1995

Die Basler Regierung verabschiedet ein Präventions-Konzept für ein umfassenderes und vernetztes Vorgehen in der psychosozialen Gesundheitsförderung .

20.2.1995

Der Drogenstammtisch nimmt das Problem "Abhängig - Arbeitslos" nochmals auf, jetzt mit gezielt eingeladenen LehrlingsausbildnerInnen aus Wirtschaft und Gewerbe und Vertretern des Gewerbeverbands und von Berufsschulen. Als Resultat gründet er ein Projektteam, das ein konkretes Konzept für eine Informations-Stelle für LehrmeisterInnen und drogenabhängige junge Menschen in Ausbildung entwickeln soll. Ende 1995 scheint die Schaffung dieser Stelle in Zusammenarbeit mit der Abteilung Koordination Drogenfragen des Justizdepartements BS auf gutem Weg.

3.4.1995

Drogenstammtisch "Ecstasy - Gefahr oder Ausdruck einer neuen Kultur?", an dem sich eine sehr offene und informative Aussprache mit Jugendlichen und Organisatoren aus der Basler Techno-Szene ergibt.

12.6.1995

Drogenstammtisch "aus den Augen - aus dem Sinn - oder wenn Handel und Konsum fast unsichtbar... Probleme aber greifbar..."

30.10.1995

Drogenstammtisch "Dope - Alk - Medi - Zigi;" mit Regierungsrat Dr. Hans-Martin Tschudi, Kantonsarzt Prof. Hans-Peter Rohr, dem Chef des Betäubungsmitteldezernats Dr. Beat Voser, dem Chef der Sicherheitsabteiiung der Kantonspolizei BS Major Christian Meidinger und Prof. Dieter Ladewig, dem Leiter des Bereichs Sucht der Psychiatrischen Universitätsklinik. Klagen über Probleme mit der Drogenszene auf dem Kasernenareal werden laut und auch Vorwürfe, dass das JustizDepartement den vom Grossen Rat bewilligten Kredit zur Aufstockung des Gassenzimmer-Personals nicht freigibt; die Absicht, ältere Menschen dort freiwillig Gratiseinsätze leisten zu lassen, wird heftig kritisiert.

4.12.1995

An einer offenen Drogenstammtischrunde "lasset uns hören wird über die aktuelle Probleme wegen des Deals rund ums Kasernenareal, über die mangelhaften Öffnungszeiten der staatlichen Gassenzimmer und die Notsituation von obdachlosen Junkie-Paaren diskutiert.

Wie weiter?

Nach fünf Jahren, nach Krisen und stetigen Veränderungen, ist der Drogenstammtisch weniger kontrovers, weniger kämpferisch geworden. Aber noch immer lebendig! Manches ist erreicht - doch viele Fragen und Probleme bleiben unausgesprochen und ungelöst. Auch wir wünschen uns wieder eine aktivere Beteiligung von kritischen und betroffenen Personen oder, wie es ein Mitinitiant aus der Gründerzeit formuliert - " In brisanten gesellschaftlichen Fragen gibt es keine Schonfrist, oder wir werden früher oder später dafür bezahlen. Reden wir wieder Klartext, packen wir es an."
Doch vorher wird gefeiert ...

19.1.1996

... mit einem grossen Fest zum fünfjährigen Jubiläum des Drogenstammtischs am Ort seiner Entstehung - in der Kulturwerkstatt Kaserne.

Seitenanfang


(Online-Publikation mit freundlicher Genehmigung der Autorin)

Epilog

Das Jubiläumsfest wurde zugleich so etwas wie ein Schlussstrich unter dem Kapitel "Drogenstammtisch". Einerseits fehlten Themen, welche über das Fachpublikum hinaus Interessierte anzulocken vermochten, andererseits hatte sich im Lauf der Zeit das Publikum deutlich verändert (weniger Betroffene aller Art, dafür vorwiegend sogenannte "Fachleute", die Opposition fehlte). Dazu kam, dass infolge personeller Veränderungen in den zuständigen Behörden die Dialogbereitschaft mit dem Stammtisch markant abnahm.

Diese Entwicklung wurde in der oben zitierten Jubiläumsschrift von mehreren Autoren bedauert. Stellvertretend hier der Beitrag eines Gründungsmitglieds:

Vom Kropfleergremium zur Informationsrunde

Einst Kropfleergremium für verunsicherte KleinbaslerInnen und einer in der Arbeit behinderten Suchthilfe, einst der Versuch, das Gewaltpotential eines Spritzenbus-blockierenden Strassenmobs in kreative Bahnen zu lenken, einst die Hoffnung, erstarrte Fronten aufzuweichen, einst Brutstätte für neue Aspekte in einer konzeptarmen Drogenpolitik...
Nach dem Rückzug derer, welche ihre Gebete an St. Florian zu wenig schnell erhört fanden, Mutation zur Schulterklopfvereinigung und Informationsrunde, deren Sitzreihen bald einmal vornehmlich dank prominenter Zugpferde gefüllt werden. Kropfleer-Animationenen bleiben mangels Betroffenheit, bzw. aufgrund der Absenz Direktbetroffener aller Färbungen zunehmend echolos.
Die früher diffuse und konturlose Drogenpolitik präsentiert sich heute als Ordnungspolitik mit Unfehlbarkeitsanspruch und lässt kaum mehr Raum für Hinterfragungen und Experimente, - kein Klima mehr für eine Stammtischatmosphäre mit reinigenden Gewittern. Wer heute den Stammtisch besucht, erlebt dafür eher ein Saalpublikum, welches andächtig den Ausführungen von ReferentInnen lauscht.
Dennoch - angesichts der Basler Medienvielfalt bietet diese Institution für viele Interessierte eine unverzichtbare Möglichkeit, sich über aktuelles Geschehen zu informieren. (hf 12/95)

vergleiche auch: - Neues zur Basler Drogenpolitik
- Entwicklung der Spritzenabgabe in Basel
- Fixerstübli-Chronik
- Stationen der Drogenszene


TOP virus TOPTOP
[ Spritzenabgabe ] [ Seitenanfang ] [ Themen-Index ] [ Fixi-Kurzdoku ]

©1996 M-L.N. / virus [ letzte Aktualisierung: 21.06.2001 / hf ]