PÜB-Bulletin 2/96, S.15

Plattform Überleben Basel - Bulletin 2/96

Polizei und Wallstrasse 16
Ein Situationsbericht

Es klingelt wieder. Der nächste Klient kommt zur Tür herein. Eine Viertelstunde ist vergangen, seit wir um 10h geöffnet haben. Wie immer geht es sehr hektisch zu und her. -"Salü, wie geht's dir heute?" - "wie war dein Name schon wieder?" - "bist du zum erstenmal hier?" ..... . Es ist der normale Smalltalk, die ersten Begegnungen in der Wallstrasse 16 an einem neuen Arbeitstag. Die meisten der Leute kenne ich mit Namen - Namen aus der ganzen Welt: Italien, Afrika, Spanien, Süd-America etc.. Man muss aber doch immer aufpassen, dass sich der gleiche Mensch nicht unter zwei bis drei verschiedenen Namen anmeldet. Während ich die Namen in die Liste eintrage fragt jemand, ob die Waschmaschine am Nachmittag frei sei - wenn ja, wolle er gerne reservieren. -"Geht in Ordnung, um 14h ist sie frei". Es klingelt wieder, drei Leute kommen herein. Zwei davon kenne ich, der Dritte ist neu. D.h. ich muss mit ihm die Hausordnung durchgehen. Während ich mit ihm beschäftigt bin klingelt diesmal das Telefon. Ich lasse den Neuen gehen und nehme schnell das Telefon ab. Jemand möchte den Hausleiter sprechen. -"Nein, er ist heute nicht da; ich weiss auch nicht ob er heute noch kommt. Nein, eine Direktleitung zu seiner Wohnung gibt es nicht". Mitten im Gespräch läutet es wieder an der Tür. Ich drücke auf den Türöffner und rede weiter am Telefon. Drei Unbekannte kommen herein - irgendwie passen sie nicht hierher. Kurz geschnittenes Haar, frisch rasiert; die Kleidung ist nicht ungewöhnlich, Jeans, T-Shirts, Turnschuhe, aber es ist alles zu sauber. - Fahndung!! -

Ohne sich anzumelden spazieren sie zielstrebig am Büro vorbei zur Treppe, die zum oberen Stock führt. -"Halt", rufe ich, hänge gleichzeitig das Telefon auf und stürme aus dem Büro. Einer der drei will gerade die Treppe hinauf als ich sie aufzuhalten versuche. -"Ihr müsst euch zuerst anmelden" sage ich zu ihm. Mit einem geübten Griff zückt er seinen Ausweis, mit den Worten "Fahndung - spezial Einsatz; wir suchen jemanden und möchten uns oben gerne umschauen". Unterdessen haben sich seine beiden Kollegen links und rechts von mir aufgebaut. -"Tut mir leid, aber ich darf sie nicht hereinlassen", sage ich. -"Wir haben eine Vereinbarung mit der Polizei. Dieses Haus soll ein stressfreier Raum für die Leute von der Gasse sein. Wenn sie mir den Namen der gesuchten Person geben, werde ich auf der Liste nachsehen ob sie oder er hier ist". Einen Namen haben sie aber nicht, und eine Beschreibung können sie mir auch nicht geben. Ich gebe ihnen die Polizei-Eintritts-Erklärung, die unser Hausleiter geschrieben hat, zum lesen. Darin wird detailliert unsere Haltung gegenüber der Polizei erklärt. Dann frage ich sie, ob sie nicht ins Büro kommen möchten, damit ich ihren Vorgesetzten anrufen könnte, um die Sachlage zu klären. Sie lehnen ab. Aber sie würden ihrem Chef persönlich Mitteilung über diesen Vorfall machen und das werde bestimmt Folgen für mich haben. -"Das tut mir leid. Ein gutes Verhältnis zur Polizei ist uns wichtig, aber dazu gehört in erster Linie gegenseitiger Respekt". Während ich mit den Polizisten beschäftigt bin fällt mir auf, wie ruhig es im Haus geworden ist. Das übliche hektische Treiben hatte plötzlich aufgehört. Unsere Klienten haben sofort gemerkt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Als die Fahnder das Haus verlassen haben kommen einige von ihnen nach unten, um herauszufinden was los gewesen ist. Mir wird wieder einmal klar, wie sehr sie den Schutz zu schätzen wissen, den ihnen unser Haus bietet.

Den Vorfall habe ich unserem Hausleiter gemeldet, der daraufhin mit dem Chef der Fahndung Kontakt aufnahm. Die Fahndung ihrerseits reichte Beschwerde bei der Staatsanwaltschaft gegen uns ein, worauf wir dann eine Verwarnung in Form eines Schreibens erhielten, mit dem Hinweis, dass es in unserem Gesetz keinen rechtsfreien Raum gibt. Mein Verhalten gegenüber den Herren von der Fahndung sei Behinderung in der Ausführung ihres Amtes und ich hätte mich also somit strafbar gemacht ..... .

Keith, Mitarbeiter "Wallstrasse 16"